Ratgeber TV-Tondynamik

Neue Vorgaben zur Lautstärke von TV-Sendungen

4.10.2012 von Roland Seibt

Schluss mit nervig lauter Werbung: Alle deutschen Sender haben sich auf der IFA geeinigt, die Lautstärke aller Sendungsinhalte anzupassen. Wurden die Vorgaben umgesetzt?

ca. 3:35 Min
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Mann mit Megafon
mann, megafon
© Archiv, EBU, Roland Seibt

Das Problem kennt jeder: Da läuft im Fernsehen ein Spielfilm, dessen Klangkulisse eine atmosphärisch ruhige Szene dezent untermalt, und wird plötzlich vom Werbeblock mit einer Lautstärke unterbrochen, die die Spitzenpegel der im Film gerade gespürten Explosionen locker um ein Vielfaches übertrumpft.


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Jeder hasst diesen Lautheitskrieg, das Buhlen um die Aufmerksamkeit der Zuschauer durch Dynamikkompression. Doch damit ist jetzt Schluss. Entweder durch Empfehlungen oder Gesetze werden die Sender vielerorts angehalten, die Lautstärke zu vereinheitlichen.

Neue Messvorgaben für Lautstärke

So wurde in den USA bereits 2008 der CALM-Act, ein Gesetzesvorschlag zur Anpassung der Lautstärke von TV-Werbung, eingebracht. Er wurde im Dezember 2010 abgesegnet und muss bis Dezember 2012 technisch umgesetzt sein.

Inzwischen haben wir Europäer die Amerikaner locker überholt, denn vor einem Jahr wurde von der EBU (European Broadcast Union) die Empfehlung R 128 ausgesprochen, die durch neue Messvorgaben für die Lautstärke von TV-Inhalten und eine Richtlinie für die resultierenden Pegel die TV-Klangwelt revolutioniert. In England bereits vorgeschrieben, haben sich ohne große Vorankündigung alle deutschen TV-Sender auf der IFA dazu bekannt, die Empfehlungen umzusetzen.

Logo zur
Im August 2011 verabschiedete die European Broadcast Union die Empfehlung R-128 zur "Normalisierung von Lautheit und maximal zugelassenem Pegel von Tonsignalen". Das Logo darf jetzt kostenlos jedes Lautstärke-Messgerät oder jeder TV-Sender nutzen, der die Empfehlung umsetzt.
© Archiv, EBU, Roland Seibt

Dynamik ist das Gegenteil von Lautstärke

Im Anschluss wurde in Pressebeiträgen die extrem hohe Dynamik von Werbung angeprangert und erörtert, dass TV-Audioformate per se extrem dynamikkomprimiert seien. Gemeint war bei Letzterem eher die Datenkompression der Codecs, die jedoch keinen Einfluss auf laut und leise hat. Und "Dynamik" ist und bleibt der Unterschied zwischen lauten und leisen Abschnitten. Eine Werbung, die immer nur mit Maximalpegel daherkommt, besitzt also null Dynamik.

Auf die Messung kommt es an

Bisher war die technische Vorgabe der Tonproduktion recht einfach: Um nicht zu übersteuern, wurden die Spitzenwerte der Wellenkurve gemessen und ein Dezibel unter maximalem Ausschlag eingepegelt. Dabei gab es freie Bahn für den Einsatz schnell anschlagender Dynamikkompressoren, die jedes "Klangfitzelchen" auf Maximalpegel verstärken und Ausreißer kurz vor der Übersteuerung glattbügeln konnten. Nach dem Motto "je mehr, desto besser" begann der Lautheitswahn. Dass dabei das natürliche Klangvolumen auf der Strecke blieb, schien egal zu sein.

Der neue Ansatz der EBU basiert auf der Empfehlung 1770 der ITU (International Telecommunication Union) und misst die durchschnittliche empfundene Lautstärke einer Sendung, daneben deren Dynamik und den echten Maximalpegel. Sie bestimmt ergänzend, dass stille Passagen nicht zur Berechnung herangezogen werden (Gating) und dass beim Ausspielen ein Pegel von -23 LUFS eingehalten wird.

Links: Maximalaussteuerung/ rechts: Durchschnittslautheit
Bisher (links) wurde eine TV-Sendung nach ihrem Spitzenpegel (Maximalaussteuerung) gemessen. Je nachdem, wie brutal ein vorgeschalteter Dynamikkompressor eingeschaltet war, konnte die empfundene Lautstärke zwischen Sendern, Sendungen oder Werbung extrem variieren. Jetzt (rechts) wird die Durchschnittslautheit einer Sendung erfasst und der Pegel darauf eingestellt. Der Lautstärke-Unterschied soll dadurch deutlich geringer ausfallen.
© Archiv, EBU, Roland Seibt

LUFS ist das Akronym für die neue Einheit "Lautheitsstufen gegenüber Vollaussteuerung (Loudness Units Full Scale, Vergleichswerte analog zu dB). Die neuen Pegelmessgeräte für Studios erhalten einen EBU-Modus, in dem sie Lautstärken momentan (400 ms), über einen kurzen Zeitraum (3 s) und im Durchschnitt der ganzen Sendung ermitteln. So können neue Programme richtig produziert und alte vermessen und normgerecht ausgestrahlt werden.

Heimkinospaß durch mehr Dynamik

Das Wichtigste dabei: Der Einsatz von Klang verschlechternden Dynamikkompressoren wird nicht mehr durch eine erhöhte Lautstärke belohnt, sondern das Ganze wird im Gegenteil deutlich leiser gesendet. Während ein gut gemischter Film zwischen -40 und -10 LUFS variieren könnte, bleiben die Spitzen der komprimierten Werbung dann auf -23 LUFS begrenzt.

Die Kampfszene im Film wird also deutlich lauter als die Werbung wiedergegeben, und ruhig angelegte Szenen bleiben leise. Das ist erfreulich, denn ein großer Dynamik-Umfang ist ein wichtiges dramaturgisches Mittel und die Basis für den hörtechnischen Heimkinospaß.

Wer alle relevanten Dokumente der EBU und ITU liest, erkennt, dass viele Details lange diskutiert wurden. Die Empfehlung sieht etwa einen leiseren Gesamtpegel (-31 LUFS) für Mehrkanal-Aufnahmen vor und erwähnt auch die Codecs Dolby Digital und AAC. Hier ist eine Anpassung der Lautstärke beim Senden kompliziert, da sie vor dem Codieren stattfinden müsste.

Spielt ein Sender gespeicherte Dolby-Digital-Tonspuren ab, müsste er sie komplett recodieren, was dem Klang nicht zuträglich wäre. Das Problem, dass die Dolby-Digital-5.1-Tonspuren momentan teils enorme Lautstärke-Unterschiede zu den MPEG-Stereovarianten besitzen, liegt aber nicht immer nur beim Sender, sondern oft an der Heimkino-Anlage. Man wird sehen, ob sich das auch mit der neuen Norm ändert.

Die Abbildung zeigt, dass der Film Hulk zu leise abgespielt wird.
Öffnet man eine Aufnahme im Audioeditor, sieht man, dass sich TV-Inhalte und Werbung dynamisch unterscheiden. Meist sind alle Pegel auf eine hohe Aussteuerung getrimmt. Die Abbildung zeigt, dass der Film Hulk zu leise abgespielt wird.
© Archiv, EBU, Roland Seibt

Funktioniert es wirklich?

Wir haben im Labor mehrere Digital-TV-Aufnahmen von Spielfilmen und Serien analysiert und dabei aktuelle mit älteren verglichen. Bei der RTL-Serie GZSZ erscheint die eigentliche Sendung genauso dynamikkomprimiert wie die Werbung. Im Spielfilm Hulk dagegen sind Lautstärkesprünge deutlich zu sehen, auch hier fehlt aber die ausufernde Dynamik im Film.

Die EBU-Empfehlung und die passenden Messgeräte sind schon lange verfügbar und werden bei allen Sendern eingesetzt. Daher ist anzunehmen, dass auf der IFA kein Lautheits-Schalter umgelegt wurde, sondern die Sendeanstalten bereits in den letzten Monaten ihre Pegel angepasst haben.

Es wird jedoch noch einige Zeit dauern, bis das ganze Archivmaterial nach den neuen EBU-Vorgaben berechnet ist und alle Tontechniker schon bei der Produktion die Möglichkeit nutzen, endlich wieder leisere Töne anzuschlagen und damit die Dynamik des TV-Klangs zu verbessern.

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