Vergleichstest

Test: Vier SLRs als Videokamera

19.2.2013 von Martin Biebel

Das Casting bleibt Ihre Sache, aber die gesamte Aufnahmetechnik für den ersten eigenen Spielfilm bringen moderne Spiegelreflexkameras schon mit. Wir haben die Videofunktion von vier Top-SLRs unter die Lupe genommen.

ca. 7:10 Min
Vergleich
VG Wort Pixel
SLRs als Videokamera
SLRs als Videokamera
© Hersteller/Archiv

Im Test: Vier videotaugliche Top-SLRs


Können Fotoapparate genauso gut filmen wie Camcorder? "Ja", sagen die Hersteller selbst kleiner "Kompaktknipsen" und werben mit Auflösungen von 1.920 x 1.080 Pixeln. Das ist feinste HDTV-Auflösung. Warum dann also ein Test von vergleichsweise teuren Spiegelreflexkameras (SLRs), die auch keine höhere Bildauflösung bieten?

Ganz einfach: Size matters. In einem großen Gehäuse steckt ein großer Bildaufnahmesensor. In vielen Kameras ist er so groß wie seinerzeit bei der Aufnahme von 35-mm-Kinofilmen und in einigen sogar noch deutlich größer. Das macht den Unterschied aus - nicht nur zu kleinen Kompakt-Cams, sondern auch zum klassischen Video-Camcorder.

Denn je größer der Sensor, desto kleiner der Schärfentiefebereich des Bildes - respektive der Szene. Darin steckt die Kunst sowohl bei guten Fotos als auch bei guten Filmen: Unwichtiges soll unscharf erscheinen, etwa hässliche Hintergründe oder nur als Bildfüller dienende Vordergründe. Kurz gesagt: Das Auge des Betrachters wird auf das Wesentliche gelenkt.

Die Welt der Makrofotografie, die Portraits mit den zarten Frauengesichtern, etwa von Ingrid Bergman im Filmklassiker Casablanca, das alles ist jetzt mit den Spiegelreflex-Fotoapparaten machbar - ohne dass man die Objektivränder mit Vaseline bestreichen muss, um Unschärfe zu zaubern. Das haben zwar auch die Väter der Klamotte nie wirklich getan, aber ihre Tricks der Bildgestaltung lassen sich nun von der Fotografie auf das Filmen übertragen.

Bildergalerie

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Bilder: Video-SLRs im Test

Canon EOS-1D X, 6.300 Euro, bei Amazon kaufen

Die Rückkehr der Wechseloptik

Doch der Kino-Look funktioniert nur mit lichtstarken Wechseloptiken, was das Hobby deutlich verteuert. Denn nur bei offener Blende ist die Schärfentiefe auch klein - und der Unschärfe-Effekt sichtbar. Zudem bringt nur das beste Glas beste Kontraste. Das wissen sogar Landschaftsfotografen, bei denen hohe Detailschärfe mehr gefragt ist als geringe Schärfentiefe. Da die Kamera beim Filmen geschwenkt wird, fallen auch Randunschärfen billiger Optiken deutlicher auf.

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Schnell wird klar: Das Thema Kino-Look und selbstgemachter Spielfilm bringt die Gesetze der Fotografie wieder auf den Tisch - und zwar im Quadrat. Denn es gilt, die Kamera nicht nur zu stabilisieren, sondern auch wackelfrei zu bewegen. Es ist auch nicht mit einmaligem Scharfstellen getan - entweder muss die Hand oder eine extrem clevere Automatik die Schärfe nachführen. Denn bei Videos werden bis zu 50 Bilder pro Sekunde belichtet.

Wenn davon eines wegen der Bewegung im Bild unscharf ist, sieht das der Zuschauer. Klar, dass die Kameras hohe Ansprüche an Automatiken und manuelle Einstellmöglichkeiten und wegen des Filmzubehörs auch an Stabilität erfüllen müssen. Da ist das Beste gerade gut genug.

Reverie
Reverie war der erste Kurzfilm, der die Fähigkeiten einer Spiegelreflex-Cam um 1.500 Euro mit spektakulären Nacht-Hubschrauber-Aufnahmen richtig ins Licht - oder besser ins Dunkel - setzte.
© Martin Biebel, Hersteller

In unserem Test haben wir die videofähigen Topmodelle von Canon, Nikon, Panasonic und Sony versammelt. Andere Firmen spielen kaum eine Rolle. Fotoseitig gehören die Geräte unterschiedlichen Klassen an, videoseitig sind sie aber vergleichbar: Die Canon 1D X etwa ist ein Bolide für absolute Fotoprofis und kostet fast dreimal so viel wie die Konkurrenten.

Auf der anderen Seite steht eine kompakte, zukunftsweisende GH 3 von Panasonic, die nicht einmal den Spiegel einer Spiegelreflex aufweist und auch einen kleineren Sensor hat. Dafür ist sie voll videooptimiert. Optimiert bedeutet hier, dass die Kamera beim Umschalten von Foto auf Video ihre manuellen Fähigkeiten behält, was bei filmenden Fotoapparaten selten vorkommt.

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Beispiel Blende: Der Könner wird beim Videofilmen einen optimalen Helligkeitswert wählen, der durch die ganze Szene trägt und - falls nötig - im rechten Moment von Hand etwas nachstellen. Viele Fotoapparate vergessen beim Umstellen auf Video aber die manuellen Betriebsmodi A (Zeitvorwahl), S (Blendenvorwahl) oder M (voll manuell) und die Vollautomatik blendet gnadenlos ab, wenn ein Auto mit Scheinwerferbeleuchtung durchs Bild fährt.

Vorbei ist es dann mit dem Kinoglanz, solche Blendenschwankungen wirken amateurhaft. Unsere Testmodelle können aber alle voll manuell eingestellt werden, nur die Nikon D600 hatte mit der Blende etwas Schwierigkeiten.

Filmausschnitt
In Deutschland war der Dreh zu Die Päpstin der Durchbruch für die digitale Kinoproduktion. Sönke Wortmann setzte hier erstmals Canon EOS-SLRs unterstützend ein.
© Martin Biebel, Hersteller

Großzügige Ausstattung

Große Unterschiede gibt es auch bei der Wiedergabe der Filme: Alle Cams zeichnen auf schnelle SD-Karten (SDXC) auf, nur die 1D X braucht CF-Karten. Um lange Filme zu realisieren, passen gleich zwei Karten in die Gehäuse - außer wiederum bei der kleinen Panasonic. Noch immer ist beim Filmen Stativbetrieb sinnvoll, um Verwackeln zu vermeiden - gerade weil SLRs nicht so gut in der Hand liegen wie die kleinen Camcorder.

Doch die Bildstabilisation legt weiter zu: Bei Sony sitzt der Stabilisator im Gehäuse, bei den anderen Herstellern ist Bildstabilisation nur Thema, wenn sie das Objektiv bietet.

Eine Mikrofonbuchse und eine mehr oder weniger feine Tonaussteuerung bringen diese Spitzenmodelle schon mit. Ohne den guten Ton ist das beste Video nichts wert: Die eingebauten Stereomikrofone liefern zwar einen passablen Sound, aber auch Stör- und Griffgeräusche. Zudem sollten Filmwillige bedenken, dass der Klang nur bis zu zwei Metern Distanz zur Schallquelle unverhallt und verständlich bleibt. Einfach die Kamera im Zuschauerraum aufstellen und den Theaterabend filmen - das führt oft zu unbrauchbaren Ergebnissen.

Aufbau eines Kamera-Rigs
Der Aufbau eines Kamera-Rigs.
© Martin Biebel, Hersteller

Was ist ein Rig?

Das faszinierende Zubehör, das Kameramänner benutzen, um den Kino-Look zu erzeugen, wird in der Gesamtheit "Rig" genannt. Es besteht aus einer höhenverstellbaren Basisplatte (1) mit Führungen für die Leichtstäbe (Rods), an die dann je nach Notwendigkeit die eigentlichen Helfer angesteckt werden wie Griffe und Schulter-Pad (2) bei einem transportablen Aufbau. Sehr wichtig ist der Follow Focus (3): ein Drehrad mit Markiermöglichkeit, das auch an Fotooptiken feine Schärfenachführung aus bequemer Position ermöglicht.

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Dennoch ist Schärfeziehen eher eine Aufgabe für Assistenten. Der Fluid (4) ist ein Hebel, um gleichmäßige Zooms zu gewährleisten. Das Wichtigste ist die Matte-Box (5), die Streulicht aus den Aufnahmen heraushält und mit Filtereinschüben (6) versehen ist. Diese sind für Graufilter nötig, um kleine Blendenwerte und damit große Schärfentiefe zu realisieren. Oft komplettiert ein Monitor oder Sucheraufsatz die Ausrüstung.

Hollywood-Dreh-Set
So sieht es aus, wenn ein Hollywood-Profi wie Shane Hurlbut mit Fotoapparaten dreht. Hier ist er beim Dreh zum Action-Spektakel Act Of Valor - Leap Of Faith über amerikanische Kampftruppen im Einsatz gegen den Dschihad.
© Martin Biebel, Hersteller

Spiegelreflex im Spielfilm

Vor gut vier Jahren stellte ein kleiner Videoclip die Filmtechnik auf den Kopf: "Reverie" war mit einer digitalen SLR-Kamera gedreht worden. Zwei Millionen Menschen sahen den Clip schon in der ersten Woche. Gedreht hatte ihn Vincent Laforet, einer der höchstdekorierten Meister seiner Zunft, mit der Canon EOS-5D Mark II. Noch am Abend nach dem Erscheinen von "Reverie" riefen bekannte Hollywood-Kameramänner bei ihm an, um erstaunt zu fragen, wie er die Brücke im Hintergrund seines Clips ausgeleuchtet habe. "Gar nicht", war die Antwort.

Bald wurden mehr 5D-Mark-II-Spiegelreflexkameras unter Filmern gehandelt als unter Fotografen, und die anderen Hersteller zogen nach. Für US-Serienmacher machte Dr. House Mitte 2010 in der Folge "Help Me" die Canon-Spiegelreflexkamera salonfähig. Mittlerweile entstand die gesamte fünfte Staffel auf diese Weise.

Auch Hollywood reagierte: Die Trailer zum jüngsten "Terminator" sind mit SLR gedreht, und auch die Superhelden-Saga "Iron Man 2" hat 5D-Mark-II-Schüsse zu bieten. Lukrativ ist diese Produktionsweise auch: Der 250.000-US-Dollar-Film "Like Crazy" gewann 2011 beim berühmten Sundance-Filmfestival und wurde daraufhin von Paramount für vier Millionen Dollar gekauft.

Schärfentiefe von Camcordern
Je kleiner der Sensor, desto größer die Schärfentiefe. Sensoren in kleinen Hobby-Camcordern haben 1/6- bis 1/8-Zoll-Sensoren.
© Martin Biebel, Hersteller

Sensorgröße: Wie groß ist groß?

Kino- und Fotokameras nutzen den 35 mm breiten (Kleinbild-)Film. In der Kinokamera läuft er senkrecht an der Optik vorbei, bei Fotoapparaten liegt er horizontal. Digitale SLRs besitzen statt des Films einen Sensor, doch das Bildfenster ist genauso groß (24 mm x 36 mm) - und damit etwa 2,5-mal so groß wie bei den 35-mm-Kino-Cams.

Deshalb können die Fotoapparate noch besser mit Unschärfe gestalten und werden von Top-Kameramännern eingesetzt. Dem klassischen 35-mm-Kinofilm (16 mm x 22 mm) entspricht mehr das kleinere Bildsensor-Format preisgünstiger Spiegelreflexkameras (APS-C-Format: 14,9 mm x 22,3 mm). Diese Fotosensoren mit 2:3-Bildformat werden für die breitere Bilddarstellung im 16:9-Format beschnitten.

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Einen Sonderweg geht Panasonic mit seinem 4/3-Zoll-Sensor, der im 16:9-Ausgabeformat noch ein Bildfeld von etwa 10 mm x 17,8 mm abdeckt. Klassische Videokameras haben viel kleinere Sensoren, doch alle erzeugen Szenen mit 1.920 x 1.080 Pixeln.

Egal, wie viele Pixel die Spiegelreflexkamera im Fotomodus hat - das TV-System ist auflösungsbegrenzt. Der sichtbare Unterschied zwischen den Sensorgrößen liegt darin, dass größere Sensoren mit größeren Optiken und Brennweiten arbeiten, um das Gleiche abzubilden. Und je größer die Brennweite, desto kleiner der Schärfebereich. Ein Beispiel: Ein Motiv, aufgenommen mit einer Sony Alpha 99, zeigt bei einer Entfernung von fünf Metern einen Bereich von 19 Zentimeter scharf. An einer GH 3 wäre ein Bereich von 38 Zentimetern scharf und bei einem 1/6-Zoll-Camcorder wären es 595 Zentimeter.

Sony NEX-VG900
Der Sony NEX-VG900 kostet um 3.300 Euro. Mit dem Zeigefinger wird die Zoomtaste bedient.
© Martin Biebel, Hersteller

Die Alternative: Sony VG30

Der große Erfolg der filmenden SLR-Kameras legt nahe, auch Camcorder mit großem Bildsensor zu produzieren. Im Modell NEX-VG30 steckt ein APS-formatiger Sensor, im NEX-VG900 gar der vollformatige 35-mm-Sensor der Alpha 99. Die Camcorder-Technologie ist fürs Filmen noch immer praktischer, da die Geräte besser zu führen sind, der Autofokus schneller reagiert und eine Zoomwippe den Bildausschnitt während der Aufnahme sanft variiert.

Allerdings braucht man dazu passende Systemoptiken. Diese Camcorder haben eine videooptimierte Bildqualität, jedoch sind ihre Möglichkeiten im Bereich Fotografie im Vergleich zu den SLRs beschränkt.

Fazit

Canons 1D X ist der Testsieger. Sie ist am lichtstärksten und macht das beste Bild, entwickelt ihre Fähigkeiten aber nur in den Händen von Profis. Wer erste Erfahrungen sammeln will und auch ohne Zubehör videografieren möchte, ist mit der GH3 von Panasonic gut bedient.

Die SLRs bringen den Fotos das Laufen bei. Die Ergebnisse faszinieren, doch mit dem einfachen Draufhalten wie bei klassischen Mini-Camcordern ist es nicht getan. Je nach Anspruch ist noch allerlei Zubehör nötig, in jedem Fall aber Ton-Equipment und Optiken. Mit den SLRs könnte ein ganz neues Hobby für Bildfetischisten entstehen.

Denn die bisher starren Fotos plötzlich an einem guten Fernseher knackscharf in Kinoqualität zu bewundern ist ein Aha-Erlebnis. Wir fanden lediglich das Abspielen direkt aus der Kamera außer bei Panasonic noch etwas mühsam.

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